Auf meiner Reise durch Australien traf ich in einem Hostel auf Oliver. Aus heiterem Himmel erzählte er mir von seiner Liebe zu einer Engländerin, die ihn gerade verlassen hatte. Ein 15-minütiger Monolog über seinen Herzschmerz. Ich kannte ihn erst seit wenigen Augenblicken. Zudem war schnell klar, dass ich nicht der einzige Bewohner des Hostels war, der Olivers Geschichte kannte.
Es ist nicht schwer zu erraten, dass Oliver extrovertiert ist. Einem Introvertierten würde es nie einfallen, jedem von seinen Gefühlen zu erzählen. Introvertierte sind eher verschlossen. Oft so verschlossen, dass es für Extrovertierte unerträglich ist.
Was wir zu verbergen haben
In meinem früheren Unternehmen bekam ich von meinen Mitarbeitern das Feedback, dass sie oft nicht wissen was ich denke und sich wünschen, dass ich mich mehr dazu äußere. Mit meinen äußerlich emotionslosen Reaktionen wussten sie nichts anzufangen.
So kann der Eindruck entstehen, dass wir etwas zu verbergen haben. Und es stimmt, wir haben etwas zu verbergen: Unsere Gefühle.
Ich fühle mich nicht wohl dabei, anderen Menschen meine Gefühle preiszugeben. Es fühlt sich nicht richtig an und in mir wehrt sich alles dagegen. Vor allem Signale der Zuneigung lassen mein Nervensystem in Alarmstellung gehen.
Ich freue mich oft über die Leistungen anderer und bin manchmal sogar stolz auf sie. Doch ein Lob tatsächlich auszusprechen, dazu muss ich mich regelrecht zwingen. Wenn ich jemanden lobe, fühlt es sich an, als würde ich etwas von mir preisgeben, als würde ich alle Schutzschilder herunterfahren. Verrückt irgendwie, aber real.
Persönliche Dinge gebe ich ungern preis. Ich zögere bei jedem Wort und wäge innerlich die möglichen Folgen ab. Wenn ich überhaupt etwas erzählen soll, dann nicht vor mehr als ein bis zwei Menschen gleichzeitig. Nie würde ich mich vor einer größeren Gruppe persönlich äußern.
Warum das so ist und wie ich damit umgehe
Es ist wichtig zu verstehen: Ich fühle mich nicht (mehr) sonderlich unwohl mit mir selbst, so dass ich alles über mich verheimlichen möchte. Ich fühle mich nur unwohl damit, auszudrücken, wer ich bin. Von außen betrachtet mag das keine nennenswerte Unterscheidung sein, doch für mich ist sie riesig.
Als aufgeklärter Introvertierter fühle ich mich also durchaus wohl mit meiner Veranlagung, doch ich verarbeite Informationen anders. In schönen Situationen flippe ich nicht vor Freude aus und wenn ich mich ärgere, bleibe ich dabei vergleichsweise ruhig. Introvertierte neigen dazu, die Implikationen einer Situation zu verstehen, anstatt sofort zu reagieren.
Ich musste erst lernen, dass ich dadurch für Außenstehende nicht lesbar bin. Das kann manchmal ganz nützlich sein, doch in vielen Situationen ist es besser, anderen mitzuteilen wo sie stehen. Nur durch Kommunikation (verbal & nonverbal) können Menschen miteinander leben. Meine Veranlagung macht es mir nicht leichter, trotzdem ist es meine Verantwortung, mit anderen Menschen gut zu kommunizieren.
Letztendlich zwinge ich mich zu Kommunikation, die ich instinktiv vermeiden würde. Ich sage eher, wenn mir etwas gefällt oder missfällt und damit fahre ich ganz gut.
Dennoch bin ich meilenweit davon entfernt, ähnlich gut zu kommunizieren wie sehr extrovertierte Menschen. Das wird auch immer so bleiben, da es sich für mich nie richtig anfühlt.
Ich finde wir sollten ob unsere Introversion kein schlechtes Gewissen haben. Das ist oftmals der erste, aber auch entscheidende Schritt.
Ich finde es oftmals unerträglich, wie Extros private Sachen öffentlich diskutieren. Das passiert oftmals in der Gruppe, zum Beispiel im Zug. Das erzählen Leute lautstark Sachen, die ich bestenfalls meinem besten Freund unter vier Augen erzählen würde. Ich schau dann oft gezielt aus dem Zugfenster, in der irrigen Vorstellung die anderen Leute im Zug denken, ich gehöre nicht zu dieser Gruppe. Private Gefühle zu veröffentlichen hat für mich oft Fremdschämcharakter. Gleichzeitig staune ich wie andere damit unbefangen umgehen können.
Diese Situation kann ich sehr gut nachempfinden.
Introvertiertheit kann einem auch zum Verhängnis werden.
Ich kann das sehr gut nachempfinden wie oben im Bericht oder Kommentare beschrieben wurde.
Ich selbst bin total tolerant und wenn mein gegenüber introvertiert ist, so habe ich kein Problem damit.
Nur bei mir selber. Viele sagen ich sei so verschlossen. Und manchmal fühl ich mich in Unterhaltungen sehr unwohl. Nur bei meiner Familie und meinen 2 besten Freunden kann ich, ICH sein.
Mich belastet es eher weil ich unter Menschen nicht entspannen kann. Und es ist doch auch irgendwie ein MUSS gesellschaftlich zu sein. Ich wäre gerne öfter unter einer Menge von Menschen. Aber irgendwie mag ich es am Ende doch nicht, weil ich es nicht kann.
Oft bekomme ich zittrige nasse kalte Hände und oft herzrasen wenn es nur um Smalltalk geht.
Und in liebesdingen, ist es nicht anders. Sogar verstärkt. Manchmal komme ich mir vor wie 13, die erste Liebe. So ist es jedes Mal. (Bin gerade übrigens 21) das ich total verkrampfe. Würde gerne Zuneigung zeigen. Aber es geht nicht? Ich kann nicht? Ich Trau mich nicht?
Daher finde Ich, ist es nicht leicht damit umzugehen. Und andere verstehen das ja noch weniger. Liebe Grüße
Dieser Kommentar ist zwar von 2015, aber ich muss dazu einfach sagen, du hast mir echt aus der Seele gesprochen (bin 25) und glaube mittlerweile, dass ich eventuell eine Soziale Phobie habe
Hi!
Oliver könnte durchaus auch ambivertiert sein wie ich. Ich habe auch schon wildfremden Leuten meine halbe Lebensgeschichte erzählt und auch Herzschmerz und Kummer und was weiß ich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich viele Menschen mir gegenüber dann auch öffnen. Und das wiederum führte oft zu Gesprächen, die einen im Nachhinein nachdenklich machten. Zudem bekommt man so auch Einblicke in die Leben anderer und sieht, wie diese mit bestimmten Situationen umgehen und welche Probleme sie beschäftigen. Das wiederum lässt neue Sichtweisen auf sich selbst zu, man nimmt eine neue Perspektive ein und sieht manche Dinge in einem neuen Licht. Von daher schätze ich offene Gespräche sehr! Allerdings muss die Wellenlänge stimmen. Ich kann auch nicht zu 100% mit jedem. Und wenn ich spüre, dass wir nicht auf einer Frequenz funken oder dass die Person mir gegenüber total falsch und verlogen ist, dann werde ich auch verschlossener und wortkarger. Es gibt einfach Leute, mit denen man im kommunikativen Bereich auf keinen grünen Zweig kommt, dann lasse ich es bleiben und seile mich recht schnell ab.
Dunkle Grüße! 🙂
Melle
Ich finde es nicht gut, dass du dich deswegen als minderwertig fühlst. Du hast es zwar nicht gesagt, aber alleine dass du deswegen einen Text schreiben musstest zeigt, dass du dir das selbst rechtfertigen wolltest. Die Sache ist nur die, dass „introvertierte“ nicht wissen, wie es geht „extrovertiert“ zu sein. Das ist keine Veranlagung, sondern ein Verständnisproblem. Genauso wie es für jemanden, der selten im Matheunterricht war schwierig wird Algebra zu verstehen. Richtig wäre es, wenn deine Mitmenschen liebevoll zu dir sind und dir die Zeit geben, es zu verstehen. Und dich nicht einfach abstempeln. Lass dich von solchen Menschen nicht beeinflussen und such dir diejenigen, die dir in der Hinsicht eine Hilfe sind. Du bist genauso viel Wert wie alle anderen.
Liebe Grüße
Ich glaube, du hast den Text von Patrick völlig falsch verstanden. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er von sich denkt, dass er minderwertig ist und außerdem ist Introversion eine Persönlichkeitseigenschaft, die zwar hin und wieder schwanken kann über die Jahre, jedoch relativ beständig bleibt und ich kann für mich nur sagen: Ich wäre gerne extrovertiert und würde gerne auch small talken können, aber dafür überwiegen einfach die simplen Fakten von Introversion, die man, glaube ich, sich nicht allzuleicht von der Schulter klopfen kann.